Erinnerungen, niedergeschrieben von Rudolf Lange (*16.12.1877 verst. 16.01.1953).
Von den Großeltern mütterlicherseits weiß ich nichts. Von denen väterlicherseits kenne ich nur meine Großmutter, die sehr alt wurde. Mein Großvater soll 77 Jahre alt geworden sein. Er soll mich als kleines Kind, wie mein Vater erzählte, noch auf den Armen getragen haben. Wie alt ich gewesen bin, als er starb, weiß ich nicht. Er muss aber wohl viel älter als meine Großmutter gewesen sein. Die Großmutter starb, als ich schon lange Geselle war.
Mein Urgroßvater soll, wie mein Vater kurz vor seinem Tode meiner Nichte erzählt hat, 88 Jahre geworden sein. Er hatte dazu gesagt: “Wenn ich meinem Großvater nacharte, dann werde ich in diesem Jahr sterben.“ Er hatte sich am Totenfest mit meiner Nichte über vieles unterhalten. Meine Nichte befragte ihn, ob ihm sein Leben lang erschienen sei. Darauf meinte er, es erschiene ihm so, als sei es alles erst vor kurzer Zeit geschehen. Seine Jugend, seine Soldatenzeit, der Krieg 1870/1871, alles sei so lebendig in seiner Erinnerung. Das war am Totensonntag; noch in demselben Jahre starb er, wie er es geahnt hatte fast 88jährig, wie sein Großvater. Ich durfte ihm den letzten Liebesdienst erweisen, ihn in sein letztes Bett (den Sarg) legen. Er schläft neben seiner so früh heimgegangenen Gattin (meiner Mutter). Eine gemeinsame Grabeinfassung umschließt sie Beide. Sie ruhen, wie nun auch meine liebe Gattin, Eure Mutter in verlorener deutscher Erde. Gleichfalls sind die Bilder meiner Eltern, auch das Bild meiner Frau, in fremde Hände gekommen. Sie waren ja viel zu groß zum Mitnehmen (Anmerkung: auf die Flucht 1945). --- Doch unser Herr Christus wird sie – unsere Lieben – auferwecken, wenn Er wiederkommt!
Von meiner so früh verstorbenen Mutter habe ich eine Schwester in Bromberg kennen gelernt. Sie war mit einem Schuhmacher verheiratet und hatte eine ganze Anzahl Kinder. Ich habe, als ich in Bromberg arbeitete, bei ihnen gewohnt. Die Ehe war wohl nicht glücklich. Der Mann trank. --- Aber meine Tante war gläubig und immer vergnügt. Sie ist sehr alt geworden. Den Kindern geht es, soweit ich es weiß, allen gut.
Der Mutter Gebete sind ihnen zum Segen geworden. Ein Sohn war Geschäftsreisender und hat uns auch in Rosenberg besucht, gleichfalls eine Tochter. Ich weiß nicht, lieber Rudy, ob Du Dich daran noch erinnern kannst.
Nun, meine Wenigkeit wurde am 16.12.1877 in Treul / Krs. Schwetz (Westpr.), als zweites Kind meiner Eltern geboren. Soviel weiß ich vom Erzählen meiner Mutter, dass Nachbarn beim Impfen gesagt haben: „Das ist ein dicker Junge!“
Meine Erinnerung an die Kindheit reicht bis zum Schulanfang. Auch erinnere ich mich, dass ich kleine Wagen gebaut und damit gespielt habe.
Mein Elternhaus lag nahe am Damm der Weichsel, so haben wir in den Nebenarmen der Weichsel gebadet und im Frühjahr, wenn die Weichsel Hochwasser hatte, gab es auch Wasser außerhalb des Deiches (Quellwasser), dann sind wir darauf Boot gefahren. Als wir älter wurden, ich hatte eine ältere und eine jüngere Schwester, haben wir in der Landwirtschaft geholfen.
Soweit ich denken kann, war meine Mutter krank. Die
Großmutter hat viel mitgeholfen bei der Arbeit. Sie hat mich stets in Schutz
genommen, ich war ihr Liebling. Ich durfte auch immer bei Ihr Schularbeiten
machen und manchen Leckerbissen schob sie mir zu. Wenn meine Schwestern mich neckten und ich dagegen auffahren
wollte, sagte sie immer: “Sei stille, ein Hund alleine beißt sich nicht und der
Klügere schweigt still!“ Es ist auch
heute, da ich selbst alt und Großvater bin, eine tiefe Wahrheit.
In der Schule kam ich mit, nur Singen und Turnen waren bei mir gleich Null. Die
schönste Zeit war die Konfirmandenzeit, ich habe immer einen Zug zur Kirche
gehabt, gerne wäre ich Pfarrer geworden.
Das Herrlichste war für mich Weihnachten. Am Heiligen Abend wurde der Schlitten fertig gemacht, heiße Ziegelsteine in den Schlitten gepackt, wir wurden in Decken gemummt --- und dann ging`s mit Schellengeläut nach Neuenburg. In der Kirche waren das Schönste die herrlichen Gesänge von Chor und Einzelstimme. Auch in der Schule hatten wir immer Weihnachtsfeiern, die Eltern feierten mit. Dort gab es auch kleine Geschenke. Ich habe es so oft in der Nazi-Zeit gesagt: „Wie arm sind doch Kinder und Menschen trotz äußerer Geschenke – aber ohne Christus.“
Doch zurück zur Konfirmandenzeit. Es war eine schöne Zeit, ich muss wohl auch mit ganzer Liebe dabei gewesen sein. Es waren dort auch städtische Kinder dabei, doch ich als armer Landjunge wurde der Erste. Als so in der vollen Kirche zuerst mein Name erscholl, hat das auf meinen Vater einen großen Eindruck gemacht, wie er nachher sagte. Worauf der Mensch doch alles ein Gewicht legt! Möge der Herr mich nur in sein Reich nehmen, wenn auch als ganz letzten.
Herrlich war die erste Abendmahlfeier. Heute weiß ich es, dass der Herr Jesus mir damals ganz nahe war. Es war mir, als schwebe ich in einer anderen Welt. --- In späteren Jahren hat mir einmal die Frau eines Kollegen erzählt, dass es ihr genau so gegangen sei, doch als sie dies ihrem Manne erzählt habe, habe er sie nur ausgelacht. Ich durfte ihr sagen, es sollte immer so sein. Ja, Jesus will uns so gerne segnen. Meine Eltern haben uns Kinder beten gelehrt. Jeden Sonntag, wenn wir nicht zur Kirche fuhren, las der Vater eine Predigt, desgleichen wenn nachts ein Gewitter war, standen alle auf und Vater las dann eine Predigt oder besser ein Gebet.
Meine Großmutter, bei der ich ja viel war, hatte ein „Starck´s Gebetbuch“, darin las sie viel. Beim Spinnen sang sie geistliche Lieder, auch hat sie stets nach dem Gebet das Kreuz über der Brust geschlagen. In der Kirche haben wohl alle Frauen, wenn der Name Christi genannt wurde, die Knie gebeugt. Als ich in die Lehre ging und dann mal nach Hause wollte, wurde es spät. Wir gingen sonntags von 2 – 4 Uhr zur Fortbildungsschule, heute Berufsschule. Ich konnte demnach erst nach 4 Uhr fort, dann hatte ich eine Stunde zu laufen. Mein Weg führte mich an einem Friedhof vorbei. Da sagte meine Großmutter: „Brauchst keine Angst zu haben, wer sich segnet, dem tut das Gute nichts und das Böse kann ihm nichts tun!“
Ehe ich nun aus meinem Lehrzeit erzähle, will ich noch einiges aus meiner Kindheit bemerken.--- Da unsere Mutter leidend war, hingen wir Kinder wohl mehr am Vater. Wir hatten Respekt vor Ihm; jedoch fühlten wir uns nicht wohl, wenn er fort war. Oft versammelten sich abends die Nachbarn bei uns, dann wurde, wie mein Vater immer sagte „klug-geredet“. Die Kriege 1864/1866/1870 wurden lebendig und manches habe ich sehr gut behalten. Krieg ist daher für mich seit Jugendtagen an das Schrecklichste gewesen. --- Ich wurde, zu Vaters Leidwesen, auch nicht Soldat. Ich war sehr froh und dankbar dafür. ---
Oft ging unser Vater zu einem Nachbarn. Blieb er zu lange fort, befreiten wir unseren guten, treuen Hofhund von der Kette. In seiner übergroßen Freude sprang er uns an aus Dankbarkeit, dann schnupperte er, als wenn er schon wusste, was er sollte --- und sauste los. Der gute „Fidde“ fand schnell das Haus in dem der Vater war und kratzte an der Haustür, bis unser Vater den Ruf verstand und ihm nach Hause folgte. Unser Vater war ein gesunder beredter Mann. Ich war nicht recht nach seinem Sinn, er sagte oft, ich sei nach Mutters Art. Vielleicht hatte er in etwa Recht. Aber ein gut Teil glaube ich auch von Vaters Wesen zu haben.
Blieb ein Rest Kuchen oder sonst etwas Leckeres, so hat Vater es immer unter uns Kinder verteilt. Alle haben wir mitgearbeitet; doch niemals hat er etwas über unsere Kräfte verlangt.
Mit 14 Jahren bin ich ja auch schon aus dem Elternhaus
gegangen. Als meine Mutter starb und wir Kinder weinten, sagte er, wir dürften
nicht weinen, er werde uns kein Unrecht tun. Dies Versprechen hat er auch
gehalten. Ehre seinem Andenken! --- Er hat gespart für uns Drei. Deshalb habe
ich auch oft in Rosenberg gesagt, wenn Kunden die großen Bilder meiner Eltern
im Kontor anschauten und fragte, wer sie darstellen: “Es sind meine Eltern, die
eigentlichen Gründer des Geschäfts, denn hätten sie für mich nicht gespart, hätte
ich nicht den eigenen Betrieb gründen können.“
Meine Mutter war die letzte Zeit ganz gelähmt. Ich habe in
der Lehre einen Armlehnstuhl mit Rädern gebaut. Meine Mutter wurde angezogen
und in diesen Stuhl gesetzt, so konnte sie sich mit Hilfe eines Stockes im
Zimmer weiterschieben. Eines schönen Sommertages, als alle in der Ernte auf dem
Felde waren, hatte sie versucht aus dem Stuhl aufzustehen und vor die Tür zu
gehen, dabei war sie gefallen und seitdem war sie ganz bettlägerig. Sie hat
viel gelitten. Im Traum habe ich sie dann gesehen, dass sie ganz gesund sei und
wieder gehen konnte. Und als ich verwundert fragte: „Du kannst gehen?“ sagte
sie: „Ja, du siehst!“ Des Morgens. als
mich der Traum noch beschäftigte, kam meine älteste Schwester zu mir in die
Werkstatt und erzählte, dass Mutter wohl sterben werde, sie solle den Pfarrer
bestellen. Als ich nach Hause kam und man ihr sagte, dass ihr Sohn da sei und
ich ihr die Hand gab, sagte sie nur noch: „Mein trautester Sohn, bist du da!“
--- Sie entschlief in der gleichen Nacht. Jesus Christus möge aus Gnaden ihr
einen gesunden Leib geben in der Auferstehung, wie ich es im Traum gesehen
habe. ---
Eins muss ich noch erwähnen, ich habe als Kind mir schon viele Gedanken gemacht
über Tod und Gericht; ja ich habe sogar im Geheimen geweint, dass ich verloren
gehen könnte. Zu gerne hätte ich in der Bibel gelesen, doch darin las sonst
niemand, so hatte ich auch nicht den Mut. Es muss wohl diese Schwermut gewesen
sein, die mich oft bedrückte, der Anteil vom Gemüt meiner Mutter gewesen sein.
Ich kann mich entsinnen, dass sie oft tief geseufzt hat. Auch hat sie einmal
gesagt, wenn Menschen fahren werden mit Wagen ohne Pferde wird das Ende der
Welt kommen. Und wie wir es verdienst haben, so werden wir es in jener Welt haben.
Der Frau, die sie pflegte, soll sie noch kurz vor ihrem Tode von ihrer
Brautzeit erzählt haben, dass mein Vater sehr gut zu ihr gewesen sei. So zieht
vielleicht am Sterbebett noch einmal alles an uns armen Menschen vorbei. Sie
ruht nun schon viele Jahre und wir werden ihr folgen.---
Meine älteste Schwester heiratete wohl ein Jahr nach dem Tode meiner Mutter,
die Großmutter wurde auch altersschwach, so legte sich die ganze Last der
Wirtschaft auf meine jüngere Schwester. Sie war Vaters Liebling, aber sie hat
es zu schwer gehabt. Meine Schwester war am Ende ihrer Lebenstage auch noch
gelähmt. Sie starb in diesem Kriege. Die jüngste Schwester mit ihrem Mann und
zwei verheirateten Töchtern sind durch diesen letzten Krieg (Anmerkung: 2.
Weltkrieg 1939/1945) auch vertrieben oder tot. Ich weiß nichts von ihnen.
Ein Erlebnis will ich noch berichten. Eines nachts wurde mein Vater durch Klopfen geweckt. Ein Mann behauptete, er sei in einen Graben gefahren, wir sollten ihm heraushelfen. Mein Vater weckte mich, wir zogen uns an, Vater nahm den Revolver und wir gingen mit dem Manne mit. Vater traute der Erzählung nicht ganz. Unser Nachbar hieß Lucht, dahin ging der Mann mit uns. Als wir auf dessen Hof kamen, sahen wir, was geschehen war. Es war ein Fleischer, der Schweine vom Land geholt hatte. Dabei hatte er sich einen Rausch angetrunken und war auf dem Wagen eingeschlafen. Das Pferd war von unserem Nachbarn verkauft worden und so in den Besitz des Fleischers gelangt. Es war nun, weil der Kutscher schlief, einfach zu seinem alten Herrn gegangen. Auf dem Hof angelangt, blieb es stehen, dadurch erwachte der Fleischer und sah, dass er auf einem fremden Grundstück war. Er kletterte vom Wagen und klopfte an der Haustür. Die Kinder, die auf die Eltern, die verreist waren, warteten, machten aus Angst vor der fremden Stimme nicht auf. Da steigt er wieder auf den Wagen und will umdrehen, kommt dabei mit 2 Rädern der Dunggrube zu nahe, der Wagen kippt um und die Schweine laufen fort. Der Wagen war bald wieder flott, doch die Schweine greifen machte mehr Mühe. Es gelang dennoch, nüchtern und froh fuhr der Fleischer fort. Vater hat ihn später oft mit der Nachtpartie geneckt und zur Wiederholung ermuntert.
Einen Bruder hatte mein Vater auch, er war Schuhmacher und leider ein Trinker. Großmutter sagte immer, dass die Stadt ihn verdorben habe. Oft meinte sie, dass es mir ähnlich ergehen werde. Ich danke dem treuen Gott, dass Er mich davor bewahrt hat.
Wenn mein Vater auf seinen Bruder wegen des liederlichen Lebens schimpfte, sagte Großmutter oft. „Er hat Dich als Kind (mein Vater war jünger) so fest gehalten, als wir über das Eis flüchten mussten.“ Die Weichsel hat, so erzählte die Großmutter, 1844 und 1855 bei Eisgang die Niederung überschwemmt und viele Häuser weggerissen und so mussten meine Großeltern auch fliehen nach der Stadt Neuenburg, die lag auf einem hohen Berge. Dabei mussten sie über das Eis, das jeden Augenblick zu brechen drohte, dabei hat dann mein Onkel meinen Vater so ängstlich festgehalten.
Mein Vater hieß Peter. Ich habe mich gefreut, dass mein ältester Sohn (Anmerkung: Otto) und meine Schwiegertochter ihrem Jüngsten auch den Namen Peter gegeben haben. Den kleinen Peter hat sein Bruder Johannes auch besonders geliebt.
Der letzte schwere Eisgang, den ich erlebt habe, war 1888. Da ging das Eis bei großer Kälte und viel Schnee. Bei Graudenz hatte sich das Eis verstopft, dass selbst Pioniere nicht viel Luft durch Sprengen schaffen konnten. Die Deichwachen ritten Tag und Nacht und überall wo es nötig wurde, besserte man den Deich mit Stroh und Dung aus. Durch den starken Frost war der Damm sehr widerstandsfähig, er ist aber doch stromabwärts gebrochen. Unsere Heimat blieb verschont, doch hatten viele Besitzer schon Vieh nach Neuenburg getrieben.
Zu Johannistag hat die Weichsel auch noch oft Hochwasser gebracht, dann war es nicht so gefährlich, aber es entstand dadurch beträchtlicher Schaden. Zwischen den Deichen waren Kämpen mit viel Korbweiden, Ackerland und Wiesen. Gras, Getreide und Kartoffeln gingen unter. Wenn das Wasser nicht allzu schnell kam, wurde noch gerettet, was zu retten war. Das Wild, das sich dort aufhielt, kam zu den Deichen geschwommen. Aber in unserem Schullesebuch stand: „Der Niederunger Mensch sagt, lieber will ich versaufen, als auf der Höhe verhungern.“
Aber nicht nur das Wasser fürchteten wir, sondern auch das Feuer. Wir hatten noch Strohdach. Eines Tages brannte unser Nachbar lichterloh, der ganz dicht an uns wohnte. Feuerwehr war nicht, aber die Nachbarn waren schnell da mit Leitern, Eimer und so wurden Pläne über unser Dach, da es am gefährdetsten war, gelegt und alles mit Wasser nass gegossen. Wir brannten nicht ab. Vater hat uns Kinder auch stets gewarnt, nicht mit offenem Licht in den Stall zu gehen oder gar mit Streichhölzern zu spielen. Nach Jahren hat Gott es unserem Nachbarn ins Herz gegeben, sein wieder aufgebautes Haus der Gemeinschaft zu Versammlungen zur Verfügung zu stellen. Die Frau wurde gläubig und hat sich dann selbst zur Anzeige gebracht, dass sie ihr altes Haus angezündet hat. Sie ist aber nicht bestraft worden, es war verjährt. Es waren arme Leute, sie hatten viele Kinder, das Haus war alt, vielleicht hat die Not sie getrieben. Jesu Blut hat auch ihre Schuld gesühnt. Doch möge Er uns vor jeder Sünde bewahren, das ist stets meine Bitte.
Nun zu meiner Lehre. Mein Lehrmeister war der Schwager meines Onkels. Mein Onkel war mit der Schwester meines Lehrmeisters verheiratet. Mein Lehrmeister hatte die zweite Frau. Es waren Kinder aus der ersten und auch aus der zweiten Ehe. Es ging auch sehr ärmlich zu. Mein Lehrmeister war sehr langsam in der Arbeit und die Preise waren schlecht. Außerdem waren sehr viele Tischler in Neuenburg. Es wurde noch zu den Jahrmärkten gefahren. Oft wurde dann wieder viel zurück gebracht oder um das zu verhindern ganz billig verkauft. Wir machten nur birken fournierte Möbel. Eine Zeit wurden auch Schränke nach Danzig geliefert.
Die Arbeit machte mir Freude, nur konnte ich das lange Stehen nicht aushalten. Wir arbeiteten im Winter vom 6 – 10 Uhr abends, das sind 16 Stunden. Mittag war wohl eine Stunde, dann Kaffee, zweites Frühstück, Vesper und Abendbrot, so dass immer noch 14 Stunden verblieben. Schlecht war das Schlafen. Ich schlief im Keller, es war wohl warm aber nass. Doch hat mir das nicht geschadet. Oft haben wir auch Nächte durch gearbeitet, dann gab es mitternachts nochmals Essen.
Nach Feierabend habe ich, trotz der langen Arbeitszeit, noch mancherlei gemacht. Werkzeug, meiner kranken Mutter einen Stuhl mit Rollen, Vater einen Schlitten. Und die drei Jahre gingen vorüber und ich wurde Geselle. Noch ein Junge aus meinem Dorf war mit mir zusammen in die Lehre gegangen, doch der lief bald davon.
Eine Weile habe ich noch als Geselle gearbeitet, dann entließ mich mein Meister. Er arbeitete nur mit Lehrlingen. Es wurde mir
– trotz allem – noch schwer zu scheiden. Er hat sich redlich geplagt, seine große Familie durchzubringen. Es wurde noch alles mit der Hand gemacht. Die Meisterin war eine nette noch junge Frau. Sie half immer polieren, dabei war sie sehr fix. Sie fuhr auch immer zu den Märkten, das war keine angenehme Sache. Später erfuhr ich durch meinen Vater, dass sie im Kopf krank (irrsinnig) geworden ist. Ich habe sie nicht mehr gesehen.
Auf Zureden meines Vaters fing ich bei Tischlermeister Rosenke, Neuenburg, an. Es war eine reine Bautischlerei, die größte am Ort. So fing ich wieder an zu lernen, denn von der Herstellung von Türen und Fenstern hatte ich keine Ahnung. Es arbeiteten dort mehrere Gesellen. Als ich meinen Einzug hielt, hatte ich noch mein Gesangbuch auf dem wenigen Gepäck.Das gab gleich Veranlassung zu leichtem Gespött auf den vermeintlichen Frommen. Wir schliefen und aßen alle beim Meister. Es wurden hier auch nur 12 Stunden gearbeitet.
Als junger Geselle musste man Einstand geben. Das geschah am Sonnabend nach Arbeitsschluss. Ich gab je 1/8 Bier aus. Da war ein Berliner Geselle, der hatte wohl gleich gemerkt, dass ich etwas Verstand hatte. Er sagte zu mir, als ich so ein richtiges Doppelfenster bestaunte: „Dat lern ick Dir in einer Stunde“. Damals konnte ich es kaum fassen. Doch wie viele Fenster habe ich dann in meinem Leben gebaut und anderen geholfen, dass sie es auch lernten.
Beim Meister hatte ich bald eine gute Nummer, so habe ich dort eine lange Zeit gearbeitet. Mein Vater hatte wohl immer Angst, dass ich auch ein Trinker werde oder sonst unter die Räder komme. Außerdem wollte er mich gerne in seiner Nähe wissen. Mein Meister riet mir, als bereits längere Zeit dort arbeitete, dass ich eine Fachschule besuchen sollte. Doch mein Vater sagte nur: „Frag ihn, ob er eine besucht hat!“ Er hatte keine besucht, doch später den Mangel als Meister empfunden.
Es waren zwei Meistersöhne in der Werkstatt, außerdem waren noch zwei Töchter und ein kleiner Sohn vorhanden. Der Älteste war schon Soldat gewesen und auf die schiefe Bahn gekommen, der zweite lernte, als ich anfing. Er war etwas jünger als ich. Die dritte – eine Tochter – hieß Marta. Weil ich nun schon so lange dort war (die Gesellen wechselten damals oft), spöttelte man in der Werkstatt, ich müsste sieben Jahre um die Marta dienen.
Ob mein Meister jemals daran gedacht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er es fertiggebracht, mich zu überreden, dass ich mit seiner Tochter zusammen an einem Tanzkursus teilnahm. Ich hatte nicht viel Talent zum Tanzen. Da waren auch die Mütter anwesend, die jungen Damen alle in weiß und wir jungen Männer in schwarz. Es ging alles sehr hochanständig her. Da passierte es einmal, dass ich eine Flasche mit Benzin zum Waschen meiner weißen Handschuhe an meinem Bett hatte stehen lassen. Da kommt ein Nebengeselle, sieht die Flasche und sagt: „Ach was, der lange hat auf dem Ball gut zu trinken, ich habe Durst, trinke also sein Bier aus.“ Er war nicht mehr ganz nüchtern, nimmt die Flasche und trinkt; kommt schließlich doch zur Besinnung und überlegt, was das war. Einige Gesellen schliefen schon, die wachen auf und sagen: „Mensch, Du hast dem Lange den Benzin ausgesoffen.“ Er trank schnell viel Wasser und es hat ihm nichts geschadet. Man sollte aber in Bierflaschen nichts anderes füllen, als nur Bier.
So vergingen ein paar Jahre und ich überredete meinen Vater und ging nach Graudenz. Hier fand ich Arbeit bei einem Tischlermeister Scheffler. Da waren verheiratete und ledige Gesellen. Es waren auch schon Maschinen vorhanden. In diesem Betrieb waren alle außer Logis. Ich fand Wohnung und Kost bei einer Witwe mit noch einem Tischler zusammen. Ich verdiente 14 RM die Woche. 7 RM gab ich für Wohnung und Kost, ich hatte mich also schon ein bisschen verbessert. Was am schönsten war, wir arbeiteten nur 10 Stunden. Im Sommer die herrlichen Abende, es waren Freikonzerte und manches Schöne, das mich gefangen nahm. Sonntags machten wir Ausflüge.
Abends ging ich mit meinem Arbeitskameraden, mit dem ich zusammen wohnte, zu einem jungen Ehepaar, einem Schuhmacher Eising. Dieser hat mich noch in diesem Kriege (Anmerkung: 1939/1945) in Rosenberg besucht. Jetzt waren wir beide alt, hatten aber die Erinnerung an die schöne Zeit.
Auf einem großen Bau, wo wir Türen einsetzten, arbeitete noch ein Meister aus Neudorf bei Graudenz, der fragte mich, wo ich her sei. Er brauchte auch Gesellen und gebe Arbeit im Akkord, er habe viel Arbeit, Wohnung und Verpflegung gebe es auc. Das sagte mir zu und so fing ich dort an. Da kam noch ein Bekannter, ein gewisser Wollenberg (Meistersohn) aus Tuchel dorthin. Ich kannte ihn schon. Der Meister war Junggeselle, ein Lebemann, zahlte aber gut. Den Haushalt versah die Mutter mit einer Pflegetochter. Der Vater unseres Meisters hatte die Tischlerei gegründet, er hatte nur den einzigen Sohn, der gleichfalls Tischler geworden war. Eines Abends war das Ehepaar gesund zu Bett gegangen, morgens stellt die Frau beim Erwachen fest, dass ihr Mann so still ist. Sie berührt ihn und er war eiskalt. Vor Schreck hat sie die Krämpfe bekommen, die sie zeitlebens nicht mehr los wurde. Sie hat dann noch zwei elternlose Kinder aufgezogen. Das Mädchen half in der Wirtschaft, der Junge lernte Tischler und hat nach Jahren bei mir in Rosenberg gearbeitet.
Es war eine leidende Frau, die auch unter dem Leichtsinn des Sohnes litt. Sie wusste, dass ich mich selbständig machen wollte und hatte viel Vertauen zu mir. Das Essen war gut und reichlich. Gearbeitet haben wir im Akkord, so waren wir also nicht so sehr an die Zeit gebunden. Abends gingen wir oft nach Graudenz, desgleichen sonntags. Es war vielleicht 20 Minuten zu gehen. Nur im Frühjahr und Herbst war es sehr schmutzig. Da sagte mir mal die alte Frau Meisterin: „Sie hätten bloß meinen Sohn sehen sollen!“ Er war nämlich spät nach Hause gekommen, vielleicht auch nicht nüchtern und war auf dem glitschigen Steig abgerutscht in einen vielleicht über 2 m tiefen Hohlweg hinein in den klebrigen Lehm. Seinen Gummischuh hatte er verloren und beim Suchen alles mit Lehm bekleistert. Wir haben oft gelacht, wenn wir an diesem Hohlweg vorbei mussten, sind aber nicht hinein gefallen. Aber der Dreck hat uns oft Kummer bereitet. Sonderlich störte es meinen Freund Wollenberg, der war besonders fein, ging viel ins Theater und vornehme Hotels. In der Zeit bekam Graudenz auch elektrisch Licht. Es war in den Straßen abends taghell.
Ab und zu besuchte ich meinen Vater und meine Geschwister. Vater sparte für mich. Er dachte wohl, wenn er nicht acht auf mich gibt, gehe ich doch unter wie mein Onkel. Er sagte dann: „Bringe das Geld, ich zahle Dir bessere Zinsen und lege noch etwas zu.“ So habe ich es denn auch getan und nicht bereut.
Vater fuhr mich zurück ein Stück des Wegs und erzählte mir dann so manches, was er meiner Schwester nicht wagte zu sagen. O, wie gut verstehe ich jetzt die Lage meines Vaters. Er war wie ich mit 45 Jahren Witwer geworden Oft hatte er gute Partien zu einer zweiten Ehe. Das alles sagte er mir. Ich habe immer zugeredet, er solle heiraten. Die Auguste, sagte ich, wird heiraten. Hulda ist verheiratet. Ich komme nicht nach Hause, so bist du allein. Dann meinte er, ich denke, so lebe ich ruhiger. Er wurde somit älter und blieb allein.
Von Neudorf bei Graudenz ging ich nach Bromberg. Ich wollte meine Tante aufsuchen, von der ich schon am Anfang erzählt habe. In Bromberg habe ich bei zwei Meistern gearbeitet und immer Bauarbeit gemacht. Bromberg war auch eine schöne Stadt, doch konnte ich nicht so recht warm werden. Ich wohnte und aß anfangs bei meiner Tante, aber mein Onkel war ein misstrauischer Mann, wie fast alle Trinker. Friedenshalber suchte ich mir ein anders Quartier. Es wurde auch die Arbeit knapp und so verließ ich wieder Bromberg und fing nochmals in Neuenburg bei Rosenke an. Doch meinte er, ob es auch wohl lohnen würde. Er hatte richtig vermutet, ich war älter geworden und wollte verdiene, dazu waren die Löhne in Neuenburg zu niedrig. Und so ging ich wieder nach Neudorf bei Graudenz.
Da kam eines Tages ein junger Tischler ganz zaghaft um Arbeit anfragen. Der Meister stellte ihn ein. Wir anderen lächelten über ihn, doch er kam und konnte trotz seiner Zaghaftigkeit ganz gut arbeiten. Sonntags ging ich viel zur Kirche. Eines Sonntags wollte er mitkommen, wir gingen beide. Als wir in Graudenz waren, sagte er, ich möchte noch zum Dampfer an der Weichsel gehen, vielleicht kommen meine Schwestern auch zur Kirche. Ich ging mit und richtig, der Dampfer brachte von drüben seine beiden Schwestern. Es war ein schöner Sommertag und wir gingen zur Kirche. Die beiden Mädels mit uns. Als wir aus der Kirche kamen, sagte die eine, sie gehe zu Lompio. Die Frau hatte als Mädchen bei ihren Eltern gedient.
Wir brachten sie bis dahin und für den Nachmittag lud ich sie zu einem Spaziergang ein. Des Mädchens Augen hatten einen sonderbaren Eindruck auf mich gemacht, das ich ihn nicht mehr los werden konnte. So trafen wir uns am Nachmittag wieder. Sie, ihr Bruder und ich. Wir gingen zum Schützengarten, hörten uns eine Weile das Konzert an und so verbrachten wir den Nachmittag. Abends brachten wir sie wieder zu der Familie Limpio. Dort blieb sie die Nacht. Das war meine erste Begegnung mit meiner späteren Frau. Für diese Führung Gottes werde ich noch Gott dem Herrn in der Ewigkeit danken.
Mein zukünftiger Schwager, mit dem ich ja zusammen arbeitete, forderte mich auf, mal mit ihm zu seiner Mutter mitzukommen. Der Vater war schon tot. Das tat ich gerne. Die Mutter wirtschaftete mit den Kindern. Der älteste Bruder war auch noch ledig. Es gefiel mir in Sonderheit, dass dort Hausandacht und Gebet war. So kam es von selbst, dass wir uns in Graudenz trafen und ich auch oft zu ihnen ins Haus kam. Der älteste Bruder Albert freute sich immer besonders, wenn ich kam. Es war mir nun schon lange klar, die Marta, so hieß sie, oder keine andere. Aber ich war noch sehr jung, 23 Jahre alt. Sie war zwei Jahre älter, nun hatte mein Vater beim Begräbnis meiner Mutter, die auch 2 Jahre älter als mein Vater war, gesagt, heirate nie eine Frau, die älter ist als Du. Da habe ich dann viel gebetet und eines schönen Sonntags, als wir beide allein vom Dampfer kamen, fragte ich, ob sie die Meine werden möchte. Sie sagte: “Ja!“
Ich ging gleich mit ihr nach Hause und holte mir der Mutter Segen. Marta war meine Braut. Sie brachte mich nun ein Stückchen ab und dann haben wir uns zum ersten Mal umarmt und geküsst. O, meine Marta, wie früh hast Du mich verlassen! Wir haben eine glückliche Brautzeit gehabt. Wenn auch in unserem Eheleben viel Kampf und Leid war, den ersten Kuss habe ich nie vergessen, desgleichen nicht den letzten. Sie sagte sterbend: „Vater, Du hast schwer an mir zu tragen gehabt, musst es mir verzeihen!“ Ich sagte: „Kind, Du auch an mir. Es ist gut, gib mir einen Kuss, innig und lang, wie als Braut.“ Und wir küssten uns. O, wie süß, Du meine Marta! Dann habe ich auf ihren Wunsch noch mit ihr gebetet, ich weiß es noch ungefähr und schreibe es euch auf. Ich betete: „Lieber Herr, Du gabst mir eine blühende Rose und was bringe ich Dir? Ein welkes Blatt. Aber Du hast die Macht, in Deine Hände lege ich sie!“ Sie sagte dann: „O, mir ist auch so wohl!“ Es kam ein Ohnmachtsanfall, ich hatte sie im Arm und konnte nur sagen: „Jesus, Jesus!“ Die zwei Schwestern vom Krankenhaus taten noch alles, was man tun kann. Sie schaute still zu, das Leben entfloh. Ich dachte, mir bricht auch das Herz.
Die Schwester meiner Frau sagte am Begräbnis: „Rudolf, wie siehst Du aus, denke an Deine Kinder!“ Das habe ich auch versucht zu tun. Gott möge mir verzeihen, wenn ich´s nicht recht getan. Ich wurde ja in Rosenberg für eine wohlhabenden Mann gehalten., doch habe ich oft gedacht, der ärmste Arbeiter, der mit seiner Frau glücklich lebt, ist reicher als ich. Doch der Herr Jesus hat mich täglich bis zu dieser Stunde getragen und nicht verlassen. Vielleicht schenkt er mir die Gnade, dass mich meine Marta abholen darf. Dort werden wir das Geschenk bekommen, worum wir hier unten kämpften „reine, heilige Liebe“.
Ich war nun allein, doch Otto, Bruno, Rudy waren schon erwachsen. Rudy hat alles getan um mich zu trösten und Wege abzunehmen. Otto und Bruno haben ihrer Mutter eine schöne Gruft gemacht und der beste Sarg wurde fertig gemacht und ich lege sie wie ein Kind in ihr letztes Haus. Ein weißes Marmorkreuz ziert ihr Grab, leider jetzt in fremden Händen. Die Beerdigung war so groß, wie Rosenberg so etwas kaum erlebt hatte. Ja, unendlich viel Teilnahme habe ich erfahren. Der Pfarrer wunderte sich selbst über das große Gefolge.
Ihr werdet sagen: „Du hast uns nichts aus dem Eheleben erzählt, nur den Anfang und das Ende.“ Ja, so kurz ist mir mein Eheleben vorgekommen, wie ich´s beschrieben habe. Doch will ich noch einiges nachholen.
Mein Vater hat mir seine Einwilligung mit den Worten gegeben: „Ich habe nichts dagegen, ob Du bist reich, ob Du bist arm, Kopfschmerzen hast Du immer!“ Und so haben wir uns Weihnachten öffentlich verlobt auf ungewisse Zeit, jedenfalls hatten wir es nicht eilig mit dem Heiraten. Ich hatte gute Arbeit und sparte. Meine Braut half tüchtig in der Wirtschaft, wir waren glücklich und zufrieden. Wir freuten uns auf den Sonntag, gingen zusammen in die Kirche, dann nach hause. In der Woche schaute jeder, ob der Briefträger nicht doch ein Brieflein bringe und so verging die Zeit.
Da las ich in der Zeitung einen sehr günstigen Kauf eines Grundstücks. Ich befragte den Vermittler und so kam ich nach Rosenberg. Es gefiel mir. Ich fuhr zu meinem Vater und beschrieb ihm alles und er stimmte zu. Meine Schwiegermutter wollte aber, wir sollten in Tarpen, dicht bei Graudenz kaufen. Inzwischen hatte Wollenberg geheiratet und in Graudenz angefangen, doch ging das nicht recht. So wurde der Kauf in Rosenberg perfekt. Nun musste ich auch eine Werkstatt bauen. Das ging meinem Vater über den Kopf. Er hatte immer wohl in Sorge gelebt, dass ich alles verliere. Doch ich hatte A gesagt und musste nun auch B sagen, doch drückte mich das alles sehr herab. Hätte mein Vater mir etwas mehr Geld anvertraut, so wäre es viel leichter gewesen.
Wir heirateten Pfingsten und zogen nach Rosenberg. Meiner jungen Frau gefiel es gar nicht in Rosenberg. Sie litt viel an Heimweh. Doch sie hatte eine Bibel mitgebracht, die wir auf Wunsch der Mutter täglich lasen, ja es kam so, dass Marta die Bibel beim Kartoffel schälen auf dem Schoß hatte und las. Oft sagte sie, sie fürchte, dass sie irr werde. Ich beruhigte sie und sagte ihr: „Jesus macht die Irren gesund!“ „Ja“, sagte sie: „Jesu Erbarmen ist so tief, wie unser Brunnen.“ (Es war auf unserem Hof noch ein tiefer Brunnen.) Aber all dieses, dazu meine Geschäfts- und Geldsorgen drückten auf uns und unsere Liebe. Doch Gottes Wort, das wir täglich lasen, und sein Erbarmen trug uns.
Unser erstes Söhnchen Paul starb nach ein paar Tagen. Ich glaube, all` diese seelischen Nöte haben sich auf den Kleinen gelegt. Es war so schön, wenn früher für so Kleine in der Kirche gebetet wurde. Wenn kleine Himmels-Erben in ihrer Unschuld sterben, so büßt man sie nicht ein. Sie werden nur dort droben vom Vater aufgehoben, auf dass sie unverloren sein. Die Mutter hat jetzt einen bei sich. Dann wurden Otto, Bruno, Rudy, Johannes, Kurt und zuletzt Magdalene geboren. Ich war ja völlig an die Tischlerei gebunden. Meine Frau sagte oft: „Mein Mann ist ganz Tischler!“
Wenn ich jetzt zurückblicke, muss ich sagen, es wäre auch mit weniger Arbeit gegangen. Aber wenn ich auch oft zu meiner Frau sagte: „Nimm eine Waschfrau, gib etwas mehr, dann bekommst Du schon eine“ so sagte sie oft: „Ich spare nur für meine Kinder!“ Und das tat ich auch, alles was ich plante und baute, war immer im Blick auf unsere Kinder. Nun Gott hat alles, Freude und Leid. Kummer und Sorge dazu benutzt, dass wir Jesus fanden.
Ihm haben wir dann auch unser Haus für seine Jünger zur Verfügung gestellt. Meine Frau hat Sonntagsschule gehalten, Gäste und Prediger bewirtet und so manches andere getan. Soviel ich konnte habe ich auch versucht zu helfen. O, hätte unser Volk auf die Lockrufe Jesu Christi gehört, wir wären nicht vertrieben. Doch auch jetzt in allem Leid hat Jesus uns nicht verlassen. Möge Gott Gnade geben, dass unser Volk sich zu seinem Retter Jesus wenden möchte.
Doch nun zurück. Durch die Gemeinschaft lernte ich die Familie Wodtke kennen. Weil ich wusste, dass es wahr ist, wo der Herr nicht das Haus baut, arbeiten die Bauleute umsonst, betete ich darum, dass Gott die Kinder zueinander führen möge und sich von ihnen finden lassen möchte. So ist es gekommen, dass zwei Töchter von der Familie Wodtke zwei meiner Söhne geheiratet haben. Gott hat sie gesegnet und möge auch ihre Kinder segnen. Ich will, so lange mir Gott hilft, dafür beten.
Durch den letzten schrecklichen Krieg (Anmerkung: 1939/1945) haben wir alles verloren, was wir an irdischen Gütern besaßen. Doch sind unsere Herzen näher zusammen gekommen. So benutzt der treue Gott alles, um uns zuzubereiten für Sein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Er, der treue Gott hat unsere drei Söhne den ganzen Krieg hindurch behütet. Lob sei seiner Macht! und Herrlichkeit! Doch zum Schluss hat er es zugelassen, dass Bruno verschwunden ist. Wir wissen trotz allen Suchens nicht, ob er lebt oder schon in der Ewigkeit ist. Vielleicht schenkt Gott uns auch noch diese Gnade, dass wir von seinem Verbleib erfahren.
Bruno war unverheiratet und hatte mit Otto zusammen den Betrieb in Rosenberg. Rudy und John haben zusammen einen Betrieb in USA. Beide sind glücklich verheiratet und sorgen für uns. Gott vergelte ihnen alles! Kurt hatte einen wunderschönen Betrieb in Friedland (Ostpr.). Auch er hat alles verloren, dazu ist seine Frau mit dem Jungen, der Schwiegermutter und zwei Schwägerinnen auf russischem Gebiet und dürfen nicht nach hier (Anmerkung: in die von den Alliierten besetzten Westzonen Deutschlands) kommen. Magdalene hat den ganzen Krieg und auch jetzt für mich gesorgt. Die Flucht hat sie euch ja bereits beschrieben.