„DER HERR IST NAHE ALLEN, DIE IHN ANRUFEN,
DIE IHN ERNST ANRUFEN!“ (Psalm 145, 18)
Für Euch, meine lieben Kinder und Enkelkinder, möchte ich folgendes aufschreiben. Vielleicht gereicht es dem einen oder anderen zur Glaubensstärkung. Es sind Gedenksteine aus meinem Leben. Wohl ist mein Leben eine Kette von Gebetserhörungen gewesen und ich durfte die Nähe meines lieben Heilandes immer wieder erfahren.
Es sind jetzt 27 Jahre her, aber es ist mir noch alles so lebhaft, als ob es heute gewesen wäre. Ich stand vor einer Entbindung (Anmerkung: wohl 1919, Geburt von Charlotte). Der Arzt musste geholt werden, denn es stellte sich heftiger Blutsturz ein. Er stand ratlos da und hatte mich schon aufgegeben.
Der Vater (Anmerkung: Ehemann Wilhelm Wodtke) und der Arzt standen auf der linken Seite an meinem Bett. Ich hatte den Kopf leicht nach der rechten Seite gedreht und die Augen geschlossen; hörte aber alles, was um mich her vorging. Da mit einem Mal sah ich auf der rechten Seite wie sich dicke Wolken so ineinander wickeln, so als ob sie vom Sturm gejagt wurden. Diese Wolkenwand kam immer näher bis dicht an mein Lager. Dann taten sich die Wolken auseinander und ich sah den Heiland stehen. Ich wagte nicht zu atmen. Sein Angesicht war sehr ernst. Ich suchte seine Augen, die nach dem Fußende – nach dem Sitz der Krankheit – gerichtet waren. Sie waren aber so voller Huld und Güte, dass mich eine unbeschreibliche Glückseligkeit erfüllte. Nun riss ich aber meine Augen auf und sah den Herrn noch einige Sekunden stehen. Dann fingen die Wolken wieder an, sich auseinander zu wickeln und die Erscheinung war fort. Zur größten Verwunderung des Arztes hatte der Blutsturz aufgehört und ich fühlte mich ganz gesund und kräftig.
Markus 11, 24: „Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, dass ihr´s empfangt, so wird´s werden.“
Es war im Winter; Kälte und Schnee; der Arzt weit entfernt. Eines meiner Kinder (Anmerkung: Meta) klagte über Schmerzen im Leib. Anfangs legte ich nicht viel Wert darauf. Aber die Schmerzen wurden immer größer. Ich tat, was ich nur wusste, aber es half nichts. Die ganze Nacht musste ich an ihrem Bett bleiben. Sie war in einem Jammern und Stöhnen, ich sollte ihr doch helfen. Nun wurde das rechte Bein schon ganz steif, dass sie sich fast nicht mehr bewegen konnte. Es wurde wieder Abend und die Schmerzen nahmen immer noch zu. Da war mir, als ob jemand sagte: „Du hast alles getan, aber dem Herrn hast du deine Not noch nicht gesagt.“
Jetzt kniete ich an ihrem Bett nieder und sagte: „Herr Jesus, lass sie jetzt einschlafen und gesund wieder aufwachen.“ Nun war sie wirklich eingeschlafen. Weil ich sehr müde war, legte ich mich mit den Kleidern über mein Bett, um im nächsten Augenblick wieder dazusein. Aber ich schlief ein und als ich erwachte, schien die Morgensonne schon hell durchs Fenster. Ich wusste erst nicht, wie es kam, dass ich mit Kleidern im Bett lag. Da mit einem Mal dachte ich an mein Kind und mein erster Gedanke war: „Sie ist tot.“ Mit einem Satz war ich an ihrem Bett und griff ihr ins Gesicht. Da schlug sie die Augen auf und lächelte mich an und sagte: „Ich bin gesund!“
Da ich 7 Töchter und 4 Söhne hatte, wird es wohl jeder verstehen, dass ich oft den Herrn gebeten habe, er möchte doch auch meine Töchter versorgen. Eines Tages las ich in meiner Bibel. Da fiel mir die Sache ganz besonders schwer aufs Herz. Ich bat den Herrn, er möchte doch meinen Töchtern vernünftige Ehemänner geben. Und als ich nun weiter lesen wollte, fiel mein Blick auf das Wort: „Ich will deine Töchter nicht veralten lassen.“ Als ich diese Worte aufschreiben wollte, fand ich sie nicht mehr auf der Stelle, wo ich sie eben gelesen hatte. Ich habe das Wort nie wieder in der Bibel gefunden.
Es waren die ersten Kriegsjahre. Wie ich fast immer getan habe, wenn abends alles zu Bett gegangen war, holte ich meine Bibel und habe dem Herrn so alle meine Sorgen und Nöte gesagt. Besonders lag mir die Rettung meiner Kinder am Herzen. Unter Tränen bat ich den Herrn um das Seelenheil meiner Kinder. Er möchte doch keines von den Meinen verloren gehen lassen. Als ich meine Augen nun wieder auf die Bibel lenkte, da leuchtete mir das Wort entgegen: „Sie sollen nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“
Das war mir nun doch zu überwältigend. Ich merkte die Gegenwart des Herrn und musste erst ganz stille werden, um das zu fassen.
Der Herr hat mir verheißen: „Sie sollen nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“
Das ist mein Trost und meine Hoffnung, dass der treue Heiland sie alle für sein Reich erziehen wird. Er wird´s schaffen!
Das neue Jahr liegt dunkel vor uns. Doch durch all das Dunkel leuchtet uns der Name: JESUS – JESUS – JESUS !
Herr birg uns in den Lebensstürmen, bis auch unser Lauf vollendet ist.
3. Jan. 47: Johannes und Günter (Anmerkung: die Enkel) aus Oldenburg sind hier zu Besuch gewesen. Wir waren alle so glücklich beisammen. Ich freute mich, wenn ich in ihre frischen und fröhlichen Gesichter sah.
8. Jan. 47: Heute würde unsere Uroma 92 Jahre alt. Oft quält mich der Gedanke, ob sie wohl schon daheim ist? – Herr, lass sie ruhen in deinem Frieden!
17. Jan. 47: Heute hat unser Hans (Anmerkung: ein Sohn) Geburtstag. Er wird 30 Jahre alt. Er trägt sich mit Heiratsgedanken. – Lieber Heiland, lass ihn doch die rechte Ehegattin finden und sei sein Führer auf diesem wichtigen Scheidewege.
19. Jan. 47: Um mich her ist Sonntagsstille. Anna und Waltraud (Anmerkung: Tochter und Enkelin) sind nach Herford gefahren zur Schwägerin. Dort ist heute Taufe.
Wie brauch´ ich diese stillen, schönen Stunden und wie habe ich sie so lieb!
20. Jan. 47: Otto (Anmerkung: Lange) hat heute Geburtstag. Wie freue ich mich, dass sie alle beisammen sind und auch das tägliche Brot haben.
22. Jan. 47: Heute Morgen kamen drei Pakete aus Amerika an; zwei mit Kleidung und eins mit Nüssen, Schokolade und Bonbons. Das war für einen Tag fast zu viel Freude.
25. Jan. 47: Heute Abend kamen Otto und Meta (Anmerkung: Lange) zu meinem Geburtstag. Es war meine schönste Geburtstagsstunde.
26. Jan. 47: Ein schöner Sonntag. Einen Teil meiner Kinder hatte ich um mich her. Bei Kuchen und Bohnenkaffee waren wir schön gemütlich zusammen.
27. Jan. 47: Heute früh, es war noch dunkel, da sangen mir die Kinder das schöne Lied:
„Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren...“
Waltraud kam mit einem brennenden Licht in der Hand und sagte mir ein Gedicht auf. Wie macht uns doch die Güte Gottes so unendlich reich und glücklich.
Fürchte dich nicht! In der Sterneunendlichkeit, im Wettersturm und Herzeleid, sollst du geborgen sein. Du bist daheim auf ewig mein. Fürchte dich nicht!
......
12. Aug. 47: Heute früh kam Anneliese (Anmerkung: Witwe von Willi Wodtke) von Wilhelminenhof zu Besuch. Wir freuten uns, sie begrüßen zu können. Heute sind alle Baden gegangen und morgen geht’s in die blühende Heide. Sie hat uns viel erzählt von dem Leid und dem Elend in der russischen Zone.
......
20. Sept. 47: Immer näher rückt die Zeit, wo ich alle meine Lieben und mein Vaterland verlassen soll. Oft frage ich: „Herr, ist es auch dein Wille? Lass mich doch ja nicht eigene Wege gehen.“
Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl;
das macht die Seele still und friedevoll.
Ist´s doch umsonst, dass ich mich sorgend müh,
dass ängstlich schlägt mein Herz,
sei´s spät, sei´s früh.
Du weißt den Weg für mich, du weißt die Zeit,
dein Plan ist fertig schon und liegt bereit.
Ich preise dich für deiner Liebe Macht,
ich rühm die Gnade, die mir Heil gebracht.
Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht,
und du gebietest ihm, kommst nie zu spät,
drum wart ich still, dein Wort ist ohne Trug,
du weißt den Weg für mich, das ist genug.
......
3. Okt. 47: So der Herr will, gedenke ich morgen nach Oldenburg zu fahren, weil ich Montag, am 6. Oktober, zum amerikanischen Konsulat nach Bremen kommen soll wegen meiner Ausreise.
Meine einzige Freude ist, dass ich Gertrud dort treffen werde.
......
2. Dez. 47: Charlotte hat heute Geburtstag. Wir sangen ihr alle das schöne Lied: „Jesu Weg ans Kreuz“.
Mein Gebet ist: „Herr, lege du deine segnenden Hände auf sie und mache sie zu deinem bewussten Eigentum.“
Nun habe ich schon Nachricht aus Bremen bekommen. Am 9. Dez. 1947 soll ich hinkommen und am 14. Dezember 1947 fährt mein Dampfer „SS Marine Tiger“. Ich bin dem Herrn so dankbar, dass ich doch noch ein paar Tage länger bleiben darf. Der Herr hat mir die Gnade geschenkt, dass ich ruhig und getrost den Tag der Abreise entgegensehen kann, denn ich weiß mich und die Meinen ja in den besten Händen! Jeden Tag, den mir mein Gott noch schenkt, will ich meine Hände für Euch alle falten und in dieser Fürbitte weiß ich mich mit Gertrud vereint. Der treue Heiland tut, was er verheißen hat und erhört das Gebet seiner Kinder!
Weitere Berichte schicke ich von USA. Heute kam noch ein großes Paket von Amerika für mich, habe nun alles verteilt. Beim Verteilen kam mir der Gedanke: „Herr Jesus, lass doch ja nicht die Teilung der irdischen Güter eine Teilung der Gemüter werden!“
Vor dem Stationsgebäude
einsam auf der Bank ich saß.
Um die Wartezeit zu kürzen,
ich in einem Büchlein las.
Dann und wann hob ich die Blicke,
viel zu sehen gab´s nicht hier;
nur ein leerer Güterwagen
stand auf dem Geleis vor mir.
Doch auf einmal blieb mein Auge
daran haften wie gebannt –
„Tragkraft 130 Zentner“,
hieß es an des Wagens Wand.
Und die harmlos kurze Aufschrift
schreckte mich aus meiner Ruh;
eine Frage mich durchzuckte:
Wie viel Tragkraft, Herz, hast du?
Wie viel Tragkraft für des Lebens
Müh und Kampf und Weh und Leid?
Wie viel Tragkraft für Verkennung,
Härte, Ungerechtigkeit,
für ein lieblos Wort ein Lächeln,
für den Spott und Hohn der Welt?
Wie viel Tragkraft für den Nächsten,
wenn er strauchelt, wenn er fällt?
Und es ward in den Minuten
ernster Selbstprüfung mir klar,
wie oft Tragkraftmangel
Ursach´ meiner Niederlagen war.
Und aus meiner tiefsten Seele
stieg ein Seufzer himmelwärts:
Jesus, rüste aus mit Tragkraft
deines schwachen Kindes Herz!!!
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Diese Texte sind den „Erinnerungen“ von Emma Wodtke entnommen, die von Anita Weigel geb.Polenz im Dezember 1984 zusammen gestellt wurden.